Warum der Handel in Europa sich jetzt absolut verändern muss

Jens Köster

 

Jede Studie zum Konsumverhalten der europäischen Verbraucher in den vergangenen Monaten zeigt, welche enormen Auswirkungen der ganze Bereich Online Shopping auf die Umsätze des stationären Handels hat. Manager aus dem Handelsbereich beschwören dazu dann in Interviews, dass On- und Offline Kanäle sich nicht mehr bekämpfen, sondern "sinnvoll" ergänzen sollen.

 

Aber ist dies in der Realität so?

 

Bei meinen Projekten für Sales Strategien innovativer Startups, steht zu Beginn jedes Projektes das Thema Store Checks im Vordergrund. Wie werden die Ansprüche und Bedürfnisse der Zielgruppe am POS (Point-of-Sale) erfüllt? Wie sind die Produkte platziert und welche Instrumente bietet der Handel für die Vermarktung an?

 

Das digitale Niemandsland ohne Service

 

In vielen Food Stores fühlen wir uns wie in einer fremden, kalten Umgebung. Und im digitalen Niemandsland. Kein Service, alle Mitarbeiter versuchen, ihre schlechte Laune an die Kunden weiter zu geben und sowohl die Sortimentstiefe als auch die Sortimentsbreite der Stores enttäuschen. An der Kasse die übliche Schlange mit den ausgedehnten Geschichten über die Wochenendabenteuer der Kassierer in Kino Lautstärke. "Alles, was da noch steht", "Haben wir nicht", "ich bin hier nicht zuständig, "fragen Sie meinen Kollegen aus der Abteilung drüben". Bemerkenswert ist auf der einen Seite, wie gleichgültig sich viele Kunden mit diesem niedrigem Service Niveau abgeben und auf der anderen Seite, wie langweilig und lieblos häufig die Artikel in den Regalen der Händler platziert sind. Gleichzeitig fordert der Handel fortlaufend Innovationen von den ihn beliefernden Unternehmen, ohne selbst innovativ zu sein.

 

Ein Termin in Hamburg bei einem großen deutschen Lebensmittelhändler. Luxuriöse, voll ausgestattete, multimediale Meetingräume, hektorliterweise Kaffee und Schnittchen. Großes Erstaunen über meine Schilderungen, wie es "da draußen", vor Ort, in den Märkten aussieht. Sofort schnappt die deutschen Rhetorikfalle zu, alle Argumente werden an die regional verantwortlichen Stores weg delegiert. Verlassen die höheren Hierarchien den Raum, geben diejenigen, die meine Argumente jeden Tag auch von Anderen hören, zu, wie schwer sich der Handel allgemein mit Veränderungen tut.

 

Im Zusammenspiel mit Online Shops wird der stationäre Handel zukünftig noch stärker an Absatz und Umsatz verlieren. Oder, er muss sich jetzt so radikal ändern, um überhaupt überleben zu können. Wenn Amazon mit seinem Lebensmittel Lieferdienst Amazon Fresh flächendeckend nach Deutschland kommt (zur Zeit in Berlin und Postdam gestartet), wird der gesamte deutsche, stationäre Lebensmittelhandel erdrutschartig an Absatz und Umsatz verlieren. In Europa und insbesondere in Deutschland muss endlich mit der reflexartigen Ablehnung von digitalen Prozessen im Handel Schluss sein. Diese sollten als Chancen gesehen werden, die für den Endverbraucher von Vorteil sind.

 

Aber wie sollte der stationäre Handel reagieren?

 

Schauen Sie sich bitte den Burberry Store in London an. https://youtu.be/Oh6DcY7zoYI

Die Nutzung von Big Data, die Digitalisierung und die Schaffung von Einkaufserlebnissen können dem stationären Handel helfen, zu überleben. Bei Sephora in Paris begrüßt Sie eine Mitarbeiterin mit einem kleinen Gerät in der Hand an der Tür. Sie geben Ihre Kundennummer an und gerade in dem sehr fragmentierten Bereich der Kosmetik und Parfums erhalten Sie auf Grund der historischen Daten Ihres Einkaufsverhaltens genaue Empfehlungen zu Ihren Ansprüchen und Bedürfnissen für Kosmetik und Parfum. Ein hohes Maß an Service und Beratung sind die Schlüsselelemente für den zukünftigen Erfolg des stationären Handels. Die Verkäuferin und der Verkäufer werden zum Berater und Coach. Keine plumpen Sprüche mehr. Gute Produktkenntnisse der Mitarbeiter des Shops und das Gefühl des Kunden, im Shop wirklich willkommen zu sein, sind die zentralen Punkte in der Kundenbetreuung vor Ort. Das persönliche Verhältnis zum Kunden machen aus dem Shop Mitarbeiter einen persönlichen Berater. Ein Algorithmus schlägt bei Sephora der Mitarbeiterin des Stores neue Artikel und Serviceleistungen auf dem Gerät vor, die sie der Kundin oder dem Kunden anbieten kann. Augmented Sales Mitarbeiter werden zukünftig einfache Verkäufer am POS ersetzen.

 

Die auf jeden Kunden maßgeschneiderten Angebote werden auch dem stationären Lebensmittel Handel helfen, seine Position zumindest halten zu können. Zusätzlicher Service und die Schaffung von Erlebniswelten binden Kunden an einen Händler vor Ort.

 

Keine langen Warteschlangen beim Bezahlen

 

Amazon wird neben Amazon Fresh auch stationäre Amazon Buchläden oder stationäre Amazon Lebensmittelgeschäfte mit Bezahlvorgängen, die digital und ohne stationäre Kassensysteme über das Smartphone abgewickelt werden, in Europa eröffnen. Die Etiketten an den Regalen zeigen digitalisiert die Preise an. Kein langen Warteschlangen an den Kassen. Der Bezahlvorgang wird über das in der App hinterlegte Zahlungsmittel abgewickelt. Die schon seit langem entwickelte RFID Technik kommt zur Anwendung. Beacons helfen den Kunden des Stores, die auf ihn oder sie ausgerichteten Angebote im Markt auf das Smartphone zu senden. Sprachgesteuerte Bots unterstützen die Suche nach dem richtigen Angebot im Store.

 

Natürlich werden Menschen weiter auf Wochenmärkten und in Spezialitäten Geschäften einkaufen gehen. Nur ist auch damit der grundlegende Umbruch im Handel nicht umzukehren. Die mangelnde Offenheit in Deutschland gegenüber Neuheiten, gepaart mit depressiver Arroganz gegenüber Veränderungen verhindert Innovationen auch im Handelsbereich. Der stationäre Handel wird keine andere Chance haben, als sich einer erlebnisorientierten, digitalen und beratenden Ausrichtung anzunehmen, um zu überleben.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0