Der lange erwartete Start von Amazon Fresh in Berlin und Potsdam zeigt Wirkung im gesamten Handel und insbesondere beim Discounter LIDL. Was bedeutet dies für Food Startups?
Die Ernährungsindustrie ist mit 5.940 Betrieben und einem Umsatz von 171, 3 Mrd. Euro der drittgrößte Industriezweig Deutschlands. Der stationäre Lebensmittelhandel steht heute vor einem der größten Umbrüche in seiner Geschichte. Der auch von uns, im food innovation Think Tank, geäußerte Hinweis auf die Stärke von Amazon allgemein als Händler und insbesondere als Lebensmittelhändler wurde, von etablierten Handelsmanagern und Führungskräften aus der Lebensmittelindustrie, häufig zurückgewiesen. Der Hinweis vieler Akteure aus der Lebensmittelindustrie, auf die gescheiterten Versuche des Eintritts von Walmart oder anderen internationalen Lebensmittelhändlern in den deutschen Markt, reichte scheinbar aus, um mit der bestehenden Situation im Lebensmittelhandel zufrieden zu sein. Diese rückwärts gerichtete Denke vieler Handelsmanager und Manager aus der Industrie führt zu Stillstand und mangelnden Innovationen auf beiden Seiten. Die Reaktion von LIDL in dieser Woche zeigt, wie sehr sich die Damen und Herren auch bei dem sonst so professionell wirkenden Lebensmitteldiscounter verschätzt haben. Amazon fresh ist eben nicht preislich teurer, wenn man die Artikel einzeln betrachtet. Das der Kunde noch die Amazon Prime Gebühr und eine Amazon Fresh Gebühr bezahlen muss, ist nicht entscheidend für die Kaufentscheidung. Amazon Fresh überzeugt durch pünktliche Lieferung, in der Preisoptik der einzelnen Artikel und durch den schon beim Verbraucher bekannten Service. Daher reagiert der Discounter so scharf und bittet Lieferanten zur Nachverhandlung der Preise.
Die Chance für Markenartikel
Markenartikel haben durch Amazon Fresh eine zusätzliche Chance, einen neuen Online Sales Kanal zu nutzen. Der Lieferdienst wird in weiteren deutschen Großstädten in naher Zukunft aktiv. Eine zukünftige Entwicklung sollte die Lebensmittelindustrie aber beachten. Der zukünftige Einkauf wird auch sprachgesteuert, zum Beispiel über Amazon Echo, erfolgen. Hier wird der Amazon Algorithmus diejenigen Artikel dem Echo Nutzer vorschlagen, die in der jeweiligen Produktkategorie von Amazon auf Grund von Preisen und Bewertungen ausgewählt werden. Umso mehr sollten Markenhersteller im Lebensmittelbereich für eine starke Verankerung der Marken beim Verbraucher sorgen, da Verbraucher häufig im ersten Moment nach Produktkategorien (Waschmittel, Kaffee, Sekt usw.) suchen und nicht in allen Fällen nach einer bestimmten Marke. So ist der gesamte Bereich des Category Management im stationären Handel aufgebaut und über Jahre vom Verbraucher gelernt. Auch der häufig geäußerte Einwand, dass frische Lebensmittel (Brot, Obst, Milcherzeugnisse usw.) nicht von Amazon Fresh geliefert werden könnten, wird sich nicht bestätigen. Die Logistik von Amazon und die dahinter stehenden Prozesse werden alle Themen der Haltbarkeit von Lebensmitteln und Frische sicher stellen. Auch hier bieten sich Chancen für Marken, zum Beispiel bei Milchprodukten oder Desserts.
Welche Chancen ergeben sich für Food Startups?
Sollen Food Startups mit Amazon zusammenarbeiten? Was auf den ersten Blick die logische Konsequenz für jedes Startup für diesen innovativen Sales Kanal sein kann, sorgt auf den zweiten Blick im Lebensmittelbereich für Widersprüche zu einem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Konzept. Sollen noch weitere Lieferdienste mit Fahrzeugen die Innenstädte zu parken? Soll ein Food Startup zum Verschwinden von noch mehr stationären, lokalen Händlern aus den Städten beitragen? Der Deutsche Handelsverband geht von einem Rückgang von bis zu 50.000 stationären Händlern in den nächsten Jahren in Deutschland aus. Stationäre Lebensmittelhändler werden gegen Amazon im Lebensmittelbereich kaum eine Chance haben, wenn sie nicht ihren Service verbessern und Einkaufen vor Ort zu einem Erlebnis machen werden, das alle Sinne des Kunden anspricht und den Kunden vor Ort in die Märkte "zieht".
Jedes Food Startup sollte sich, wie auch in den Bereichen Einkauf und Produktion, intensiv mit einer strukturierten Sales Strategie auseinandersetzen. Ein Gespräch mit Amazon schadet nicht, sollte aber stets vom Einkaufsverhalten der Zielgruppe des Food Startups und von der eigenen Überzeugung der Gründer zur Vermarktung der Artikel abhängig sein. "All business is local" heisst es zurecht bei Betrachtung des relevanten Marktes für ein Startup. Aus ökologischer und ökonomischer Sicht ist die Vermarktung über den eigenen Online Shop des Startups und auf lokalen Märkten und Veranstaltungen sinnvoll. Ein lokaler, stationärer Händler kann beim Markenaufbau helfen und so sein Sortiment durch innovative Food Startup Produkte stärken.
Bevor Gespräche mit nationalen Händlern wie EDEKA, REWE und Amazon geführt werden, können viele Erfahrungen im lokalen Bereich bei der Vermarktung der Produkte für Food Startups sinnvoll sein. In den Verhandlungen mit dem Handel steht das Thema "nachhaltige Vermarktung" in jedem Fall auf der Agenda. Auch wenn hohe Umsätze und viele Distributionspunkte auf den ersten Blick verführerisch wirken, bleibt für Food Startups die Frage nach einem innovativen Weg, der Ressourcen schonen kann und einen Wechsel im Verbraucherbewusstsein, hin zum nachhaltig orientierten Konsum, verstärkt. Hier können Food Startups die Pioniere einer Bewegung sein, die neben innovativen Lebensmitteln aus ökologischer Sicht sinnvolle Wege der Belieferung der Ware etablieren.
Jens Köster
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